Dr. med. Thomas Schwingenschlögl
Facharzt für Innere Medizin und Rheumatologie, Ernährungsmediziner
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Fibromyalgie – Wenn der ganze Körper schmerzt

Wer von uns kennt ihn nicht, den brennenden Muskelschmerz, den dumpfen Knochenschmerz, den ziehenden Sehnenschmerz oder einfach viele berührungsempfindliche Punkte an Gelenken und Muskeln. Vielfach werden sich hinter diesen Beschwerden einfache Krankheitsbilder, die durch Über- oder Fehlbelastung der genannten Strukturen verursacht werden, verstecken. Doch recht häufig werden diese Beschwerden am ganzen Körper mit wechselnder Intensität und Ausdehnung vorkommen, durch einfache Maßnahmen wie das Auftragen von schmerzstillenden Salben oder Gelen nicht verschwinden und hartnäckig über einen längeren Zeitraum bestehen. Diese Patienten wandern dann von Arzt zu Arzt, erhalten eine Vielzahl von unterschiedlichen Therapien und werden dennoch nie beschwerdefrei. Da auch der Arzt diesem Krankheitsbild oft ratlos gegenübersteht, werden die Patienten als sogenannte „Psycherln“ eingestuft, denen man halt nicht helfen kann. Oder die Überweisung zum Nervenarzt oder Psychiater wird schnell ausgestellt.

Man kennt jedoch heutzutage ein solches Krankheitsbild, das mit wechselnden Muskel-, Gelenk- und Skelettschmerzen über Jahre verläuft, das Fibromyalgie-Syndrom.

Das Fibromyalgie-Syndrom

Dieses Syndrom ist ein eigenständiges Krankheitsbild, welches durch großflächige Schmerzen am ganzen Körper mit zusätzlichen typischen Druckschmerzpunkten charakterisiert ist. Fibromyalgie ist eine typische rheumatische Erkrankung und wird zum Formenkreis des Weichteilrheumatismus gezählt.

Die Krankheit befällt vorwiegend Frauen, hauptsächlich im Alter zwischen 35 und 55 Jahren. Aber auch Männer werden von dieser heimtückischen Erkrankung immer häufiger befallen. So leiden 10 bis 20 % der Gesamtbevölkerung immer wieder an Beschwerden der Weichteile. Darunter versteht man unsere Muskeln, Sehnen, Schleimbeuteln und das Bindegewebe. Die Dunkelziffer der Betroffenen dürfte allerdings wesentlich höher liegen, da viele Menschen nicht zum Arzt gehen oder nicht ernst genommen werden.

Charakteristische Beschwerden

  • Großflächige Schmerzen: ausgedehnte, flächenhafte Muskelschmerzen mit oft wechselnder Lokalisation. Hauptsächlich an der Wirbelsäule und den Extremitäten. Manchmal „schmerzt es überall“, häufig durch Streß, Kälte und körperliche Betätigung beeinflußt und von Steifheit und subjektiv wahrgenommenem Anschwellen der Extremitäten begleitet. Zusätzlich brennende Hautschmerzen.
  • Typische Druckpunkte(Tender Points): durch mäßigen Fingerdruck an bestimmten Punkten wird ein starker Schmerz ausgelöst. Charakteristisch sind Punkte am Hinterhaupt und unterem Nackenbereich, an der Schultermitte, am Brustbein, an den vorstehenden Punkten am Ellbogengelenk, an der Gesäßmuskulatur, über dem Hüftknochen sowie im Bereich des Kniegelenkspaltes.
  • Müdigkeit und Erschöpfung: sie sind verschieden stark ausgeprägt, oft extrem und treten häufig bereits nach minimalen körperlichen und geistigen Belastungen auf.
  • Schlechter Schlaf mit Schwierigkeiten beim Einschlafen, oftmaliges Aufwachen in der Nacht, so daß man am Morgen völlig erschöpft erwacht.
  • Schmerzen und Müdigkeit sind oft so stark, daß die Betroffenen kaum noch arbeitsfähig sind. Viele Patienten können die normalen Arbeiten im Haushalt nicht mehr verrichten oder müssen ihren Job aufgeben.
  • Psychische Störungen wie depressive Verstimmung, Angstgefühle, emotionale Labilität.
  • Mannigfaltige Begleitsymptome: Kopfschmerzen, Reizdarm, kalte Extremitäten, trockener Mund, Herzklopfen, Zittern, Engegefühl beim Schlucken, Reizblase und Kreislaufschwierigkeiten. Viele dieser Beschwerden weisen auf eine erhöhte Aktivität des sympathischen Nervensystems hin.
  • Fibromyalgie kann die Lebensqualität des Patienten in einem sehr hohen Maß beeinträchtigen.

Das Tückische an der Fibromyalgie ist aber, dass selbst bei oft sehr ausgeprägten Beschwerden alle Untersuchungen wie Labor, Röntgen oder Ultraschall völlig unauffällig sind.

Weichteilrheumatismus lässt sich nur durch eine gründliche klinische Untersuchung eindeutig feststellen. Der Arzt muß den Patienten angreifen, die Funktionsfähigkeit von Muskeln und Gelenken prüfen und die Tender Points testen. Diese Untersuchungen in Kombination mit der Krankengeschichte der Betroffenen ergibt die Diagnose. Natürlich müssen ähnlich verlaufende Erkrankungen aus dem entzündlich rheumatischen Formenkreis oder Stoffwechselstörungen der Muskulatur ausgeschlossen werden.

Über Ursache und Entstehung der Fibromyalgie sind zurzeit nur wenige Fakten bekannt. Es wird angenommen, dass verschiedene genetische und familiäre Faktoren eine Rolle spielen. Es konnte bereits nachgewiesen werden, dass Gene, die für die Hormonproduktion im Gehirn verantwortlich sind, bei dieser Erkrankung nicht richtig funktionieren.

Therapeutische Ansätze

Für die Behandlung der Fibromyalgie gibt es leider immer noch kein Wundermittel, aber dennoch eine Vielzahl von durchaus erfolgreichen Therapien. Die Kombination unterschiedlicher Behandlungen wie der Einsatz diverser Medikamente, physikalische Therapien, psychologische Maßnahmen sowie eine Patientenschulung und Erziehung im Umgang mit ihrer Erkrankung hat sich am besten bewährt.

Schmerztherapie

Schmerzstillende Medikamente wie Antirheumatika und Analgetika sind in allen Phasen der Fibomyalgie unverzichtbar. Antirheumatika wirken zugleich auch entzündungshemmend. Eine breite Palette von Medikamenten steht für die orale Anwendung (also zum Schlucken) oder als Zäpfchen zur Verfügung.

Bei akuten Schüben hat sich die zyklische Gabe von Schmerzinfusionen kombiniert mit hochdosiertem Vitaminkomplex besonders bewährt. Wer längerfristig Antirheumatika einnimmt und magenempfindlich ist, sollte immer einen Magenschutz gleichzeitig zu sich nehmen. Auch die neue Generation der Antirheumatika, die sogenannten Coxibe, kommt bei Magenproblemen zum Einsatz.

Muskelentspannungsmittel eignen sich besonders bei starken Verkrampfungen und Verspannungen der Muskulatur. Diese Medikamente sollten abends eingenommen werden, da sie müde machen können. Als positiver Nebeneffekt kommt es zu einer deutlichen Schlafverbesserung.

Wenn mit den genannten Präparaten keine ausreichende Schmerzreduktion erzielt wird, kann durchaus die Verwendung und schwachen und starken Opioiden erwogen werden. Speziell die Applikation von morphinhältigen Schmerzpflastern wird gut toleriert.

Antidepressiva

Chronische Schmerzen führen zu einer Verarmung verschiedener hormonähnlicher Substanzen in unserem Gehirn und machen damit auf lange Sicht auch depressiv. Damit ist der Einsatz von Antidepressiva seit Jahren erfolgreich etabliert. Behandelt wird nicht, weil die Fibromyalgie die Folge einer Depression ist, sondern weil der Hormonmangel die Beschwerden noch verstärkt.

Schmerzlinderung, Stimmungs- und Schlafverbesserung treten nach zirka drei Wochen ein. Unterschieden wird zwischen stimmungsaufhellenden und antriebssteigernden Medikamenten, die man morgens einnimmt, und eher schlaffördernden und entspannenden Substanzen, die man vorwiegend abends schluckt.

Lokale Infiltrationenmit Lokalanästhetika

Bei dieser Therapie wird an entzündete Sehnenansätze, an die Tender Points oder in stark verhärtete Muskeln eine kleine Menge eines entzündungshemmenden Medikaments gespritzt. Diese Therapie ist speziell bei ausgeprägten Druckschmerzpunkten äußerst effizient.

Tropisetron (Navoban®)

Es handelt sich bei diesem Medikament um einen Serotonin-Rezeptorenblocker, der seit kurzem bei Fibromyalgie-Patienten mit gutem Erfolg eingesetzt wird. Über die Anhebung des Serotoninspiegels im Gehirn werden die Symptome leichter. Die Gabe erfolgt intravenös als Zyklus von zehn Injektionen, anschließend nach Bedarf.

Pregabalin (Lyrica®)

Dieses Medikament verhindert die Freisetzung von schmerzstimulierenden Botenstoffen im Gehirn und beruhigt hyperaktive Schmerzsysteme. Eine Dosierung von 150 bis 600 mg pro Tag, auf zwei Gaben aufgeteilt, wirkt sich auf Schmerz, Müdigkeit, Schlaf- und Lebensqualität laut neuesten Studien gut aus.

Central sensizitation

Dieses neue Konzept sieht die intravenöse Verabreichung von Lokalanästetika oder schwachen Narkosemitteln in kleiner Dosierung über mehrere Tage vor. In Studien war darauf eine deutliche Schmerzerleichterung feststellbar.

Bewegung, Heilgymnastik

Bewegung ist ein wichtiger Teil des Rehabilitationsprogramms. Verstärkte Bewegung erhöht die Muskelkraft und die Beweglichkeit. Sie hilft auch bei der Verbesserung der Körperhaltung, stärkt die körperliche Fitness und fördert das Wohlbefinden. Während Trockenübungen sich auf die Muskelstärke positiv auswirken, ist die Unterwassergymnastik für seine ausgezeichnete Wirkung auf Schmerz und Psyche bekannt. Die Kombination beider Maßnahmen ist daher äußerst sinnvoll, wobei jedes Training immer ganz behutsam begonnen werden sollte, um Überlastungen der Patienten zu vermeiden.

Da Fibromyalgie-Patienten sehr empfindlich sind, sollte stets einer Einzelheilgymnastik oder Kleingruppen der Vorzug gegeben werden. Körperselbstwahrnehmungsprogramme haben zuletzt äußerst gute Erfolge erzielt. Der Patient lernt hierbei mit seinem Körper und seiner Energie besser umzugehen.

Physikalische Therapien

Lokale Wärmebehandlungen mit Packungen, Galvanisation, Ultraschall und Massagen können den Heilungsprozess erheblich beschleunigen. Da Fibromyalgie-Patienten immer wieder Wassereinlagerungen im Gewebe aufweisen, werden durch manuelle Lymphdrainagen der Gewebedruck und damit die Schmerzen erheblich reduziert. Starke Massagen und Strombehandlungen werden in vielen Fällen nicht gut vertragen. Bei der Fibomyalgie gilt oft: weniger ist mehr!

Thermalkuren

Heilwässer haben durch die im Wasser gelösten besonderen Elemente als auch durch ihre natürliche Wärme einen Heileffekt bei vielen rheumatischen Erkrankungen. Die kurmäßige Anwendung in Verbindung mit physikalischen Therapiemaßnahmen und Unterwassergymnastik bringt den Betroffenen oft große Fortschritte.

Akupunktur

Dieses seit Jahrtausenden bestehende Heilverfahren hat sich auch bei der Behandlung der Fibromyalgie hervorragend bewährt. Im Sinne der Ganzheitsmedizin wird ein Ausgleich im Gesamtenergiehaushalt des Körpers und damit eine Schmerzlinderung bewirkt. Begleitende diätetische Maßnahmen stärken die Grundenergie im Körper. Auch andere alternativmedizinische Therapien wie Neuraltherapie und Chiropraktik können die Beschwerden oft deutlich lindern.

Magnetfeldtherapie

Über eine verbesserte Sauerstoffversorgung des Körpers und Abtransport von Stoffwechselschlacken ergibt sich oft eine erstaunliche allgemein wohltuende Wirkung und Schmerzlinderung. Das Magnetfeld bewirkt eine Harmonisierung aller Stoffwechselvorgänge im Organismus und greift günstig in unser Immunsystem ein. Gerade die Kombination von lokalen Infiltrationen mit anschließender Applikation eines Magnetfeldstabes (= konzentriertes lokales Magnetfeld) erhöht erstaunlich die Ansprechrate beider Therapien.

Stressbewältigung

Stress kann in der Entstehung der Krankheit eine Schlüsselrolle spielen. Den Patienten wird empfohlen selbst an der Bewältigung von Stress und anderen widrigen Umständen zu arbeiten. Oftmals ist es wichtig, auch die Familienmitglieder in die Therapie einzubeziehen. Begleitende psychotherapeutische Behandlungen, wobei im Vordergrund Patientenaufklärung und Schulung stehen, verbessern die Akzeptanz der eigenen Erkrankung.

Homöopathie

Der Einsatz von stark verdünnten und pflanzlichen Essenzen hat zunehmend mit großem Erfolg in unsere Praxen Einzug gehalten. Auch bei Patienten mit Fibromyalgie-Syndrom werden diese Substanzen verwendet und stellen sowohl eine Ergänzung als auch Alternative zur klassischen Schulmedizin dar.

Entspannungstechniken

Entspannungstechniken wie autogenes Training, Yoga und Qi Gong runden das Therapiekonzept ab. Jeder Fibromyalgiepatient braucht ein individuell geschneidertes Therapieprogramm. In den meisten Fällen ist eine Kombination aus verschiedenen Maßnahmen erforderlich. Dabei ist das enge Zusammenarbeiten zwischen Arzt und Patient von großer Bedeutung.


Dank einer Vielzahl von therapeutischen Möglichkeiten kann den Betroffenen heute effektiv geholfen werden.