Dr. med. Thomas Schwingenschlögl
Facharzt für Innere Medizin und Rheumatologie, Ernährungsmediziner
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Muskelentzündung – Polymyalgia Rheumatica

Sie beginnt oft wie ein grippaler Infekt. Kopfschmerzen, allgemeines Krankheits- und körperliches Schwächegefühl sowie erhöhte Körpertemperatur lassen an eine Virusinfektion denken. Da auch Muskel- und Gelenksschmerzen bei vielen Erkältungskrankheiten typisch sind, denkt man an eine vorübergehende Erkrankung.

Wenn die Beschwerden nach zwei bis drei Wochen aber immer noch vorhanden sind, ja im Gegenteil sogar viel heftiger geworden sind, dann erkennt man, dass es sich um keine normale Grippe handelt. Meist werden die Muskelschmerzen von Tag zu Tag schlimmer. Schlussendlich kann sich der Patient gar nicht mehr bewegen. Spätestens hier sollten Sie möglichst rasch einen Spezialisten aufsuchen, um diese gefährliche Erkrankung rechtzeitig zu behandeln.

Störung des Immunsystems

Die Polymyalgia rheumatica ist eine typisch entzündlich-rheumatische Erkrankung, die durch Schmerzen und Steifigkeit der Muskulatur vor allem des Schulter- und Beckengürtels sowie der Oberarme und Oberschenkel charakterisiert ist.

Wie und warum die Polymyalgie entsteht, ist weitgehend noch unklar. Sicher ist, daß es sich um eine Überaktivität des Immunsystems handelt, welches sich gegen unseren eigenen Körper richtet. Das Immunsystem gerät außer Kontrolle, produziert vermehrt entzündliche Botenstoffe, die eine Entzündung in Muskeln, Gelenken und Blutgefäßen hervorruft. Damit entstehen starke Schmerzen in Muskeln und Gelenken, teilweise Fieber und allgemeines Krankheitsgefühl.

Die gute Nachricht: Die richtige Therapie führt zu einem schlagartigen Verschwinden der Beschwerden.

Typische Symptome

Die Polymyalgia rheumatica beginnt meist akut über Nacht mit heftigen Schmerzen im Nacken, Schultergürtel, Oberarme sowie Beckengürtel und Oberschenkel. Patienten schildern eine deutliche Morgensteifigkeit und verstärkte Schmerzen in den frühen Morgenstunden. So sind Stiegensteigen in der Früh oder das seitliche Anheben der Arme, um in einen Pullover hineinzuschlüpfen oft nur unter stärksten Schmerzen und Anstrengungen möglich.

Auch das seitliche Liegen in der Nacht auf Schulter und Hüfte wird zur Qual. Selbst ohne Bewegung ist ein ständiger Ruheschmerz vorhanden. Die Betroffenen fühlen sich in kürzester Zeit sehr krank, müde, abgeschlagen, nehmen häufig an Gewicht ab, sind depressiv und haben nächtliche Schweißausbrüche. Gelegentlich kommen Fieber oder erhöhte Temperatur hinzu. Bei etwa einem Viertel der Erkrankten treten zusätzlich Gelenksentzündungen auf. Hand-, Fingergrund- und Kniegelenke sind dabei am häufigsten betroffen. Die Muskelschmerzen stehen aber dennoch im Vordergrund.

Herkömmliche Behandlungen wie die Gabe von Schmerzmitteln oder physikalische Therapien helfen den Patienten meist überhaupt nicht. Sie beginnen zu verzweifeln, da die Lebensqualität in höchstem Maße eingeschränkt ist. Deshalb sind die richtige Diagnose und Behandlung so wichtig.

Diagnose

Bei Blutuntersuchungen findet man fast immer die typischen Anzeichen einer schweren Entzündung. Allem voran ist die Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) stark erhöht. Werte bis zu 80 bis 90 mm in der ersten Stunde sind keine Seltenheit, wobei normalerweise höchstens eine Marke von 10 mm in der ersten Stunde erreicht werden sollte. Auch andere Entzündungsmarker wie das C-reaktive Protein (CRP) und diverse Serum-Eiweiße wie Alpha-1- und Alpha-2-Globuline sind meist deutlich erhöht. Der Rheuma-Faktor selbst ist üblicherweise negativ.

Trotz der starken Muskelschmerzen ist das Muskelenzym Kreatinin-Kinase (CK) nicht erhöht. Dies unterscheidet die Polymyalgie zu anderen Muskelentzün-dungen oder neurologischen Störungen, bei denen meist deutlich erhöhte CK-Werte auftreten.

Die Polymyalgia rheumatica, deren Name aus dem Griechischen kommt und „viele Muskelschmerzen“ bedeutet, tritt meist nach dem sechzigsten Lebensjahr auf, sehr selten vor dem fünfzigsten Lebensjahr. Frauen erkranken doppelt so häufig wie Männer.

Wird die Erkrankung erkannt und behandelt, ist die Prognose meist gut. Nach einem bis zwei Jahren sind die meisten Patienten völlig geheilt. Ohne entsprechende Therapie kommt es aber zu einer ständigen Verschlechterung. Deshalb nochmals die Diagnosekriterien im Überblick:
  • Beidseitige Muskelschmerzen und Steifigkeit im Nacken, Schulter- und Beckengürtel sowie Oberarme und Oberschenkel
  • Deutliche Morgensteifigkeit
  • Akuter Krankheitsbeginn innerhalb von zwei Wochen
  • Patientenalter fast immer über 60 Jahre
  • Ausgeprägte allgemeine Krankheitszeichen wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Gewichtsverlust
  • Beidseitiger Oberarmdruckschmerz
  • Erhöhung der Blutsenkungsgeschwindigkeit auf mehr als 40 mm in der ersten Stunde

Gefahr: Entzündung der Blutgefäße

Bei manchen Patienten können neben Muskeln und Gelenken auch Blutgefäße (Arterien) von der Entzündung miterfasst werden. Am häufigsten sind dabei die Schläfenarterie oder andere Gefäße des Kopfes betroffen. Man nennt dies „Arteriitis temporalis“. Bei der Untersuchung der Patienten ist eine Verdickung und Verhärtung der Schläfenarterien auffällig. Die Betroffenen klagen über Kopfschmerzen und Schwierigkeiten beim Kauen.

Gefäßentzündungen und Polymyalgia rheumatica treten gerne gemeinsam auf. Behandelt man die Gefäßentzündungen nicht ausreichend, so können sich die betroffenen Gefäße verschließen und schwere Durchblutungsstörungen gerade im Gehirn hervorrufen. Wenn z. B. die Augenarterie betroffen ist, führt dies innerhalb kürzester Zeit zur Erblindung. Deshalb muß die Polymyalgie in jedem Falle korrekt behandelt werden.

Effiziente Therapie

Die Polymyalgia rheumatica muss durch Kortisonpräparate entweder in Tablettenform oder als Injektionen behandelt werden. Die meisten Patienten schrecken beim Wort „Kortison“ sofort zurück und suchen nach Alternativen. Die Verabreichung von Kortison ist bei dieser Erkrankung jedoch die derzeit einzig etablierte Therapie mit einer hochprozentigen Garantie auf Ausheilen der Erkrankung.

Schon die erste Kortisongabe in richtiger Dosis führt zu einem fast völligen Verschwinden der Beschwerden, was typisch für diese Erkrankung ist. Die Patienten empfinden dies nach oft monatelangem Martyrium als wundersame Heilung. Die anfänglich etwas höheren Kortisondosen, die oral oder als Injektionen oder Infusionen verabreicht werden können, werden je nach Befinden der Patienten so schnell wie möglich reduziert.

Die Dosis sollte immer so gehalten werden, daß die Patienten keine Schmerzen haben, die Entzündungswerte im Blut unauffällig sind und trotzdem nicht mehr als nötig Kortison gegeben wird. Dafür ist sicherlich die Betreuung durch einen Arzt mit ausreichender Erfahrung in diesem Krankheitsbild wichtig.

Natürlich muß der Arzt die möglichen Nebenwirkungen von Kortison ernst nehmen und diesen entgegenwirken. So kann es manchmal bei lang andauernder Kortisoneinnahme zu einer Entkalkung der Knochen mit Entstehung einer Osteoporose kommen. Durch die Gabe von Kalzium und Vitamin D sowie diversen knochenaufbauenden Mitteln kann man dies meist verhindern.

Die ebenfalls manchmal zu beobachtende Gewichtszunahme bei Kortisonpatienten ist auf eine vermehrte Wasserbindung im Körper zurückzuführen und bildet sich nach Absetzen der Kortisontherapie zurück. Dennoch sollte bei Patienten mit Polymyalgie während der Behandlung auf eine leicht kalorienreduzierte Mischkost geachtet werden. Empfohlen wird eine Nahrung reich an frischem Obst und Gemüse, Ballaststoffen, Vollkornprodukten und Fisch. Diese Lebensmittel enthalten wenige Kalorien und gleichzeitig entzündungshemmende Vitamine und Öle.

Polymyalgie ist heilbar

Bei Patienten mit besonders aggressiven Verläufen der Polymyalgie werden neben Kortison auch Immunsuppressiva eingesetzt. Dabei handelt es sich um Substanzen, die die erhöhte Aktivität des Immunsystems auf ein Normalniveau herunterbringen. Dadurch läßt sich auch einiges an Kortison einsparen. Diese Therapien gehören aber in die Hand eines erfahrenen Spezialisten.

Die Polymyalgia rheumatica wird heute leider immer noch in vielen Fällen verkannt und falsch behandelt. Damit entsteht für den Patienten ein oft monate- bis jahrelanger Leidensweg. Dann erscheint es fast wie ein kleines Wunder, wenn mit dem Beginn der richtigen Therapie die Beschwerden innerhalb von wenigen Stunden oft völlig verschwinden und der Patient sich nach Monaten erstmalig wieder schmerzlos bewegen kann.