Dr. med. Thomas Schwingenschlögl
Facharzt für Innere Medizin und Rheumatologie, Ernährungsmediziner
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Morbus Bechterew

Rücken- und Kreuzschmerzen sind treue Wegbegleiter des Menschen und plagen uns seit Jahrtausenden. Bedenklich ist jedoch die Tatsache, daß Erkrankungen der Wirbelsäule deutlich im Ansteigen sind und heute bereits als die häufigsten Begründungen für Krankschreibungen gelten. Alarmierend ist ebenso, daß immer mehr junge Menschen an Rückenbeschwerden leiden.

Die Ursachen für Rückenleiden sind vielfältiger Natur. Neben Abnützungen, Muskelverspannungen und Bandscheibenvorfällen sind häufig auch entzündliche Erkrankungen der Wirbelsäule und der Kreuz-Darmbein-Gelenke anzutreffen. Der Morbus Bechterew ist der Prototyp einer solchen Entzündung.

Rheuma an der Wirbelsäule

Der Morbus Bechterew ist eine chronische, entzündlich-rheumatische Erkrankung, die hauptsächlich die Wirbelsäule betrifft. Sie beginnt meist im jungen Erwachsenenalter und trifft bei Männern häufiger auf. Ärzte nennen die Erkrankung „ankylosierende Spondylitis“.

Der Morbus Bechterew ist in Mitteleuropa bei 0,2 – 0,3 % der Bevölkerung, also relativ häufig, anzutreffen. Meist beginnt die Erkrankung zwischen dem fünfzehnten und fünfunddreißigsten Lebensjahr. Nahm man früher an, daß Männer wesentlich häufiger betroffen sind, weiß man heute, daß das Verhältnis Männer zu Frauen bei zwei zu eins liegt. Die Krankheitsverläufe bei Frauen sind allerdings wesentlich milder und wurden in der Vergangenheit daher sehr oft verkannt.

Der Kreuzschmerz als Leitsymptom

Im Anfangsstadium sind meist die Beschwerden unspezifisch und werden daher oft fehlgedeutet. Dank charakteristischer Merkmale gelingt es dem erfahrenen Rheumatologen immer häufiger die Diagnose frühzeitig zu stellen und damit rechtzeitig eine Therapie einzuleiten. So sind schwere Verläufe dieser Erkrankung mit völliger Versteifung der Wirbelsäule und damit Unbeweglichkeit zum Glück eine Seltenheit geworden.

Folgende Symptome sind für den Beginn eines Morbus Bechterew typisch:
  • Tiefsitzender Rückenschmerz verbunden mit einer Bewegungseinschränkung in der Lendenwirbelsäule und über dem Kreuzbein
  • Morgendliches Schmerzmaximum mit einer ausgeprägten Morgensteifigkeit der Wirbelsäule
  • Verschlimmerung unter Ruhebedingungen wie an arbeitsfreien Tagen oder wenn man zu lange im Bett liegt
  • Schmerzbedingtes Aufwachen in den frühen Morgenstunden sowie Umlagerungsschmerzen in liegender Position
  • Schmerzen beim Sitzen auf hartem Untergrund
  • Deutliche Verbesserung der Schmerzen durch Bewegung
  • Schleichender Beginn der Schmerzen, der sich über Wochen hinzieht
  • Dauer der Schmerzen länger als drei Monate

Der Morbus Bechterew kann neben der Wirbelsäule noch andere Gelenke und Organe befallen:
  • Bei ca. 40 % aller Betroffenen treten schmerzhafte Gelenksentzündungen an Hüften, Knien und Schultern auf. Speziell die Hüftgelenke sind bei aggressiven Verlaufsformen besonders gefährdet und können innerhalb von Monaten versteifen.
  • Weichteilbeschwerden, darunter sind Schmerzen und Entzündungen der Sehnen, der Sehnenscheiden und Schleimbeutel gemeint, treten bei nahezu einem Drittel aller Bechterewpatienten auf. Eine schmerzhafte Achillessehne, die Entwicklung eines Fersenspornes aber auch Entzündungen an Brust- und Sitzbein, die Schmerzen beim Atmen und Sitzen auslösen, sind häufig.
  • Eine Regenbogenhautentzündung des Auges tritt bei fast der Hälfte aller Betroffenen auf. Rötung der Augen, starke Schmerzen und extreme Lichtempfindlichkeit kennzeichnen dieses Augenleiden, welches unverzüglich ärztlicher Behandlung bedarf.
  • Da es sich beim Morbus Bechterew um eine entzündliche Systemerkrankung handelt, können auch innere Organe wie Herz, Lunge und Blutgefäße von der Entzündung mitbetroffen sein. Ebenso sind Dickdarmentzündungen und Herzrhythmusstörungen immer wieder anzutreffen.

All dies kann durch eine effektive Therapie gestoppt werden. Extremverläufe mit Ausbildung eines starken Rundrückens und völliger Einsteifung der Wirbelsäule sind dank rechtzeitiger Therapien heutzutage Seltenheit geworden. Wenn Sie also einige der genannten Symptome an sich bemerkt haben, dann sollten Sie sich unverzüglich an einen Rheumatologen wenden, der Sie mit der neuesten Therapie behandeln kann.

Störung des Immunsystems

Beim Morbus Bechterew führt ein verstärktes Wechselspiel zwischen genetischen Anlagen und Umwelteinflüssen zu einer krankhaften Immunreaktion des Organismus mit der Folge einer chronischen Entzündung der Wirbelsäule. Durch die Fehlsteuerung des Immunsystems richtet sich dieses nicht nur gegen eindringende Krankheitserreger wie Viren und Bakterien, was es ja soll, sondern auch gegen unsere eigenen Körperzellen. Durchfallerkrankungen und Entzündungen der Harnwege werden häufig als Auslöser angenommen.

Mit Hilfe neuartiger Blut- und Harntests können diese Veränderungen frühzeitig erkannt werden. Speziell bei milden Verlaufsformen müssen Entzündungsmarker wie die Blutsenkung nur gering oder auch gar nicht erhöht sein. Ein weiterer genetischer Marker unseres Immunsystems, das HLA-B27, hilft bei der Diagnosestellung. Über 90 % aller Bechterewpatienten tragen dieses Merkmal, welches anhand einer Blutprobe bestimmt wird.

Da der Morbus Bechterew anfänglich so gut wie immer die Kreuz-Darmbein-Gelenke betrifft, das sind die gelenkigen Verbindungen zwischen dem Kreuzbein und dem Becken, gilt der Nachweis dieser Entzündung als diagnostischer Frühmarker. Neben konventionellen Röntgenaufnahmen von Wirbelsäule und Becken hat sich die Magnetresonanztomographie (MRT) als empfindliche Nachweismethode bewährt, da bei dieser Untersuchung schon beginnende Entzündungen der Gelenksknorpel festgestellt werden können.

Die neue Immuntherapie

In der Vergangenheit war der Bechterew eine schwer behandelbare Erkrankung. Neben einer konsequenten Bewegungstherapie und der regelmäßigen Einnahme von Schmerzmitteln standen entzündungshemmende Basismittel wie Sulfasalazin oder Methotrexat zur Verfügung, die jedoch nur bei einem sehr geringen Prozentsatz der Betroffenen eine Besserung erzielten.

Das bessere Verstehen unseres Immunsystems hat dagegen in den letzten Jahren einen entscheidenden Durchbruch bei der Behandlung rheumatischer Entzündungen gebracht. Durch die Anwendung der neuen Basismittel, den sogenannten Biologika, gelingt es uns, das überaktive Immunsystem auf ein normales Niveau herunterzufahren. Dadurch kommt es zu einem Stillstand der Entzündung in der Wirbelsäule und in den Gelenken. Entzündlich bedingte Schmerzen und die Bewegungseinschränkung lassen oft schlagartig nach.

Speziell die Entwicklung von neuen Substanzen, die die entzündlichen Botenstoffe unseres Immunsystems blockieren, wie die TNF-Alpha-Blocker, haben zu einer Revolutionierung der Bechterew - Therapie geführt.

Diese Medikamente werden entweder vom Patienten selbst subcutan, also unter die Haut, gespritzt oder als Infusion verabreicht. Folgende Wirkstoffe werden derzeit eingesetzt:
  • Infliximab (Remicade®) ist ein monoklonaler Antikörper, der TNF-Alpha im Blut und auf Zelloberflächen bindet und blockiert. Nach einer Aufsättigungsphase von drei Infusionen erhält der Patient eine Infusion dieses Antikörpers alle sechs bis acht Wochen.
  • Etanercept (Enbrel®) ist ein TNF-Alpha-Rezeptor-Antagonist, der die auf Zelloberflächen sitzenden Rezeptoren für TNF-Alpha blockiert. Damit kann der Botenstoff die Gelenke nicht mehr angreifen. Die Substanz wird ein- bis zweimal wöchentlich vom Patienten selbst subcutan (=unter die Haut) injiziert.
  • Adalimumab (Humira®) ist der erste gänzlich menschliche TNF-Alpha Antikörper. Der rein humane Ursprung bietet den Vorteil, dass mit sehr geringen unerwünschten Nebenwirkungen zu rechnen ist. Die Substanz wird alle zwei Wochen subcutan vom Patienten selbst injiziert.

Für die konventionelle Schmerztherapie bewähren sich nach wie vor Antirheumatika, Schmerz- und Muskelentspannungsmittel. Bei längerer Einnahme muß man auf die Nebenwirkungen vor allem am Magen-Darmtrakt achten.

Weiters sollte man bei Bechterew-Patienten ein vermehrtes Augenmerk auf die Osteoporose richten. Denn durch die Entzündung und die verminderte körperliche Bewegung treten kleine Risse in Wirbelkörpern auf. Daher wird grundsätzlich eine ausreichende Versorgung mit Kalzium und Vitamin D empfohlen, um die Knochendichte intakt zu halten. Bei schon bestehender Osteoporose sind entsprechende therapeutische Maßnahmen angezeigt.

Bewegung muss sein

Genauso wichtig wie Medikamente ist eine regelmäßige Krankengymnastik zur Schmerzbekämpfung und Erhaltung der Beweglichkeit der Wirbelsäule. Jeder Bechterewpatient sollte täglich Übungen durchführen, optimalerweise in der Früh, damit sie gleichzeitig gegen die Morgensteifigkeit helfen. Auch Wärmetherapien mildern die Schmerzen und Steifheit. So wird von vielen Betroffenen eine warme Dusche am Morgen, ein warmes Bad vor dem Schlafengehen, ein Thermophor oder eine Heizdecke als sehr angenehm empfunden.
Die meisten Patienten werden jedoch ohne den zeitweiligen Einsatz der Schmerzmittel nicht auskommen, besonders in Phasen hoher Entzündungsaktivität.

Alternativmedizin

Alternativmedizinische Behandlungsmethoden wie Akupunktur, traditionelle chinesische Medizin, Homöopathie, Magnetfeldtherapie und manuelle Medizin haben einen zunehmend hohen Stellenwert bei jeder Bechterewtherapie und lassen sich ideal mit den klassischen Methoden der Schulmedizin kombinieren. In vielen Fällen gelingt neben einer Harmonisierung unseres Immunsystems auch eine deutliche Schmerzreduktion.

Eine Ernährung bestehend aus einer leichten Mischkost mit reichlich frischem Obst und Gemüse, pflanzlichen Ölen und Seefisch wirkt sich ebenfalls günstig auf rheumatische Entzündungen aus. Bestimmte Vitamine wie Vitamin A, C und E aber auch Fischöle wirken als Antioxydantien entzündungshemmend und lindern die Beschwerden.

Multidisziplinäres Therapieschema

Nach neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft gibt es heutzutage eine breite Palette von therapeutischen Möglichkeiten um rheumatische Entzündungen zum Stillstand zu bringen. Gerade beim Morbus Bechterew darf aber eine konsequente Krankengymnastik nicht vergessen werden, die einen Eckpfeiler jeder Therapie darstellt. Auch das Kurwesen, speziell die Behandlungen mit dem radioaktiven Edelgas Radon, spielen bei Bechterew-Patienten eine große Rolle.
Die Möglichkeit der Beeinflussung unseres Immunsystems und die Hemmung von entzündlichen Botenstoffen hat die Behandlung des Morbus Bechterew aber grundlegend revolutioniert.

Was Sie als Patient selbst tun können

  • Ihre Sitzhaltung, das Bett, die Bewegung am Arbeitsplatz und sportliche Aktivitäten können den Verlauf der Krankheit wesentlich beeinflussen. Beachten Sie daher Ihre Haltung und das Training Ihrer Kondition.
  • Ihr Bett sollte fest sein und nicht durchhängen. Wenn Sie im Urlaub ein zu weiches Bett vorfinden, können Sie die Matratze auf den Fußboden legen und darauf schlafen.
  • Liegen Sie möglichst wenig in Seitenlage. Dadurch wirken Sie der Krümmung des Rückens entgegen. Wenn möglich, sollten Sie jede Nacht einige Zeit auf dem Bauch liegen.
  • Sitzen Sie stets so gerade und aufrecht wie möglich. Wir haben leider alle die Tendenz beim Sitzen einen runden Rücken zu machen. Weiters ist es günstig, sich nicht ständig nach vorne beugen zu müssen. Eine schräge Tischplatte oder ein Zeichenbrett kann dabei Abhilfe schaffen.
  • Meiden Sie Tätigkeiten, bei denen Sie längere Zeit nach vorn gebeugt arbeiten müssen. Auch sind das Heben schwerer Lasten und das Tragen von schweren Gewichten unangebracht.
  • Legen Sie sich, wenn möglich, zwischendurch für zehn Minuten ganz flach auf den Boden, damit sich die Wirbelsäule wieder gerade richtet.
  • Achten Sie im Auto auf eine ideal eingestellte Kopfstütze. Bei Patienten mit Morbus Bechterew ist nämlich durch die vorgebeugte Halswirbelsäule der Abstand zwischen Kopf und Kopfstütze oft viel zu groß.
  • Stärken Sie Ihre Kondition, bleiben Sie körperlich aktiv. Sport ist die beste Möglichkeit, um Ihren Kreislauf zu stabilisieren und die Atemkapazität zu verbessern. Ausdauersportarten wie Rückenschwimmen, Wandern und Schilanglauf sind für Sie besonders geeignete Sportarten.