Die Vorsorgeuntersuchung
Herz- und Kreislauferkrankungen sowie Tumore stehen in der westlichen Welt als Todesursachen immer noch an erster Stelle. In vielen Fällen bleiben die Erkrankungen lange Zeit unbemerkt. Bei Manifestation ist es dann in vielen Fällen zu spät, oder die therapeutischen Maßnahmen können nicht mehr richtig greifen. Durch die Vorsorgeuntersuchung werden weiters eine Reihe von anderen Krankheitsgruppen erfasst, die vielleicht nicht lebensbedrohlich sind, dafür aber die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Im näheren Sinne sind damit Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates, Erkrankungen der Lunge und des Verdauungstraktes gemeint. Die Vorsorgeuntersuchung ist damit eine geeignete Screeningmethode, die einmal jährlich in Anspruch genommen werden sollte.
Aufdeckung von Risikofaktoren
Manche Krankheiten verursachen kaum Beschwerden und werden daher von vielen Patienten nicht ernst genommen. Erhöhte Blutzuckerwerte, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen und Übergewicht sind zu nennen. Daß diese Krankheiten aber gerade wegen ihrer Symptomarmut besonders gefährlich sind, wissen nur wenige. Es handelt sich dabei um Faktoren, die zur Entstehung anderer Krankheiten beitragen oder die Entwicklung begünstigen und den Verlauf beschleunigen.
Für Erkrankungen der Gefäße mit der Folge Angina Pectoris, Herzinfarkt, Schlaganfall oder Durchblutungsstörungen an den Beinen sind folgend Risikofaktoren bedeutend:- Fettstoffwechselstörungen (insbesonders hoher Cholesterinspiegel)
- Bluthochdruck
- Diabetes mellitus
- Nikotinkonsum
- Übergewicht
- Stress
Je mehr von den genannten Risikofaktoren gleichzeitig vorliegen und je länger sie vorhanden sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Folgekrankheiten. Auch bei anderen Krankheitsgruppen findet man Risikofaktoren. So sind Nikotinkonsum, häufige Infekte der Atemwege oder Allergien häufig mit Lungenkrankheiten verbunden. Hohe Harnsäurewerte sind als Ursache von akuten Gichtanfällen zu nennen. Falsche Essgewohnheiten lösen häufig Beschwerden im Verdauungssystem aus. Hohe Blutzuckerwerte ziehen Schäden an Niere, Nerven und Augen nach sich.
Anamneseblatt
Dieses kann den Patienten bereits im Warteraum ausgehändigt werden und dient zur Erhebung der Vorerkrankungen, Lebensgewohnheiten und Erfassung etwaiger Medikamenteneinnahme. Besondere Belastungen am Arbeitsplatz, Stresssituationen und familiäre Belastungen werden ebenfalls erhoben. Auch über das subjektive Wohl- oder Unwohlsein wird mittels einfacher Fragen Klarheit verschafft.
Dieser Fragebogen dient dem Arzt als Datengrundlage, sollte aber jedenfalls mit dem Patienten noch einmal durchgegangen und ergänzt werden.
Klinische Untersuchung
Die genaue Inspektion von Kopf bis Fuß ist natürlich das Kernstück der Vorsorgeuntersuchung. Wenn vom Patienten Beschwerden in einem Organ angegeben werden, muss dem besonders gründlich nachgegangen werden.
Herz und Lunge bilden sicherlich den Mittelpunkt der Untersuchung. Herzgeräusche deuten auf Klappenveränderungen hin, ein unregelmäßiger Herzschlag auf eine Rhythmusstörung. Ein unreines Atemgeräusch lässt an Asthma, Bronchitis oder Wasser in der Lunge denken.
Bei der Bauchuntersuchung können eine vergrößerte Leber oder andere Resistenzen festgestellt werden. Geblähte Darmschlingen und auffällige Darmgeräusche weisen auf Funktionsstörungen des Darmtraktes hin. Auf die meist etwas unangenehme Austastung des Mastdarmes mit dem Finger sollte nicht verzichtet werden. Neben dem Erkennen von Hämorrhoiden ist die Tastung der Prostata bei Männern besonders wichtig, da diese ab einem gewissen Alter so gut wie immer verändert ist.
Bei den Damen darf eine Brustuntersuchung zum Ertasten von Knoten nicht fehlen.
Eine Probeuntersuchung der Blutgefäße und Pulse sowie ein kurzer neurologischer Status mit Reflexprüfung runden die Untersuchung ab.
Auf keinen Fall sollte auf eine eingehende Untersuchung von Wirbelsäule und Gelenken vergessen werden. Gerade Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises stellen für viele Patienten eine wesentliche Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität dar. Bei bereits bestehenden Beschwerden sollte eine genaue Funktionsprüfung der Gelenke und zugehörenden Muskelgruppen durchgeführt werden. Bei Schmerzen in den Extremitäten muß immer an einen Ausstrahlungsschmerz von der Wirbelsäule gedacht werden.
Zuletzt sollte auch die Haut als eines unserer größten Organe durch genaue Inspektion untersucht werden.
Laboruntersuchungen
Die von der Sozialversicherung vorgeschriebenen Laboruntersuchungen sind ein erster Schritt für das Erkennen von Risikofaktoren, sind jedoch durch den enormen Fortschritt der Medizin in den letzten Jahren sicherlich nicht mehr ausreichend.
Neben dem Gesamtcholesterin sollten immer auch die Unterfraktionen HDL- und LDL- Cholesterin mitbestimmt werden. HDL-Cholesterin wirkt protektiv auf Blutgefäße während LDL-Cholesterin zur Gefäßverkalkung führt. Zur Beurteilung des Fettstoffwechsels wird der Quotient Gesamtcholesterin dividiert durch HDL- Cholesterin gebildet. Dieser sollte keinesfalls höher als 5 zu 1 liegen. Triglyzeride werden routinemäßig mitbestimmt, spielen aber für das Entstehen von Herz- Kreislauferkrankungen eine weniger große Rolle.
Der Nüchternblutzucker sollte maximal 110 mg / dl betragen. Bei erhöhten Werten sollten Nachkontrollen erfolgen. Eine Bestimmung des HbA1C Wertes gibt dann über den Blutzuckerspiegel in den letzten vier bis sechs Wochen Aufschluss.
Ein weiterer Parameter ist die Gamma-GT, ein Leberwert, der bei Fettleber, Genuß größerer Alkoholmengen oder länger dauernder Medikamenteneinnahme häufig erhöht ist. Nach meinen bisherigen Erfahrungen sollte die Laboruntersuchung jedoch etwas erweitert werden: Nierenfunktionsparameter sowie Bestimmung weiterer Leberparameter wie GOT und GPT machen in vielen Fällen auf das Vorliegen weiterer Erkrankungen aufmerksam.
Bei Vorliegen von unspezifischen Symptomen wie Müdigkeit und Konzentrationsstörungen sowie allgemeine Abnahme der Leistungsfähigkeit empfehle ich eine Bestimmung von Eisenspiegel und Schilddrüsenwerten. Bei Männern ab dem 45. Lebensjahr sollte routinemäßig der Prostatamarker PSA mitbestimmt werden.
Die Harnuntersuchung mittels Teststreifen und Bestimmung der Blutsenkung sind routinemäßig vorgeschrieben und können auf Diabetes mellitus, Nierenfunktionsstörungen und Entzündungen hinweisen. Mit Hilfe von 3 Testbriefchen wird dem Vorliegen von versteckten Blut im Stuhl nachgegangen. Dies wäre als Hinweis für Entzündungen, Geschwüre oder Tumore des Verdauungstraktes zu werten.
Blutdruckmessung
Der Blutdruck sollte nach internationalen Empfehlungen in Ruhe nicht höher als 140 / 90 mm / Hg sein. Natürlich darf nicht vergessen werden, dass viele Patienten in der Arztordination etwas aufgeregt sind und damit erhöhte Blutdruckwerte vorliegen.
Ein Nachmessen dieser Patienten nach erfolgter Untersuchung, eine Kontrolle bei Abschlussgespräch oder eine Zwischendurchmessung in der Apotheke können oft mehr Klarheit verschaffen. In den letzten Jahren hat sich zunehmend eine 24-Stunden-Blutdruckmessung etabliert. Der Patient bekommt eine Manschette am Oberarm angelegt, die Messung erfolgt automatisch. Dadurch werden Blutdruckwerte während der Arbeit, in der Freizeit und in der Nacht erfasst. Das Ergebnis dient dann einer optimalen Blutdruckeinstellung.
Grundsätzlich möchte ich hinweisen, dass gerade bei schon bestehenden Herz-, Kreislauferkrankungen, Diabetes mellitus oder Nierenschäden auf eine exakte Blutdruckeinstellung zu achten ist. Der Ruhepuls sollte zwischen 60 und 100 Schlägen pro Minute sein und rhythmisch erfolgen. Ist dies nicht der Fall, liegt eine Herzrhythmusstörung vor, die näher abgeklärt werden muss.
EKG und Lungenfunktion
Diese beiden Untersuchungen sind von der Sozialversicherung nicht vorgeschrieben. Da es sich dabei aber um zwei technisch äußerst einfache Untersuchungen mit hoher Aussagekraft handelt, empfehle ich diese Untersuchungen jeder Gesundenuntersuchung anzuschliessen. Mit dem EKG können Herzrhythmusstörungen aber auch grobe Durchblutungsstörungen des Herzmuskels erfaßt werden. Mittels der Lungenfunktion läßt sich in einfacher Weise die Diagnose einer chronischen Bronchitis oder eines Asthma bronchiale stellen.
Abschlussgespräch
Das Abschlussgespräch soll dem Patienten generell über seinen Gesundheitszustand, Vorliegen von Risikofaktoren, Lebens- und Ernährungsgewohnheiten informieren. Bei pathologischen Befunden soll das weitere diagnostische Vorgehen festgesetzt werden. Therapieneueinstellung oder -anpassungen müssen mit dem Patienten genau durchgegangen werden.
Da man in den meisten Fällen mit nichtmedikamentösen Maßnahmen wie Änderung von Ernährung- und Essverhalten, körperlichen Trainingsprogrammen sowie Lösen von privaten und beruflichen Konfliktsituationen große Erfolge erzielen kann, darf der Zeitraum für dieses entscheidende Gespräch nicht zu eng bemessen werden.
Die Vorsorgeuntersuchung ist jedenfalls ein äußerst geeignetes Instrument um auf einfache Weise einen Gesamtüberblick über den Gesundheitszustand eines Menschen zu verschaffen. Die von der Sozialversicherung mögliche einmal jährliche Inanspruchnahme sollte deshalb voll ausgeschöpft werden.